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Christoph Weser unterwegs in der Dunkelheit

Geschrieben von DRF Luftrettung | 8.07.2025

Feuer, Pferd und Nordseeluft

Die Kufen des Hubschraubers berühren den Boden der Nordseeinsel Juist – noch ein paar Sekunden und die Landung ist abgeschlossen, knappe 35 Minuten nach Start an der Station in Bremen. Die Crew des Rettungshubschraubers Christoph Weser ist auf die Insel alarmiert worden, weil eine Patientin mit akutem Gefäßverschluss medizinische Hilfe benötigt. Die 70-jährige Frau soll schnellstmöglich auf das Festland geflogen werden. Der für die Inselversorgung nächstgelegene und zuständige RTH steht jedoch nicht zur Verfügung. Glück im Unglück: durch die Randzeitenerweiterung in Bremen ist ein weiterer hochmoderner und leistungsstarker Hubschrauber in der Region verfügbar. Ohne Hubschrauber bräuchten Retter und Patientin eine Fähre, doch das dauert deutlich länger. Die Crew versorgt die Patientin und fliegt sie in die zirka 15 Flugminuten entfernte Zielklinik, das Krankenhaus Wittmund, wo sie an das Klinikteam übergeben wird. 
Was nach einem Routine-Einsatz klingt, ist für die Crew von Christoph Weser allerdings noch ein Novum und wurde bis Oktober so nicht durchgeführt. Warum? Weil es längst dunkel ist.

Neues Abendprogramm im Winter

Seit Oktober 2024 ist Christoph Weser in der Winterzeit – also von Oktober bis März – auch nach Sonnenuntergang einsatzbereit. Der Dienst dauert somit bis 21:00 Uhr – eine sogenannte Erweiterung der Randzeit. Grund dafür ist das erhöhte Einsatzaufkommen in den späten Abendstunden, bei dem Christoph Weser als Rettungsmittel verfügbar bleiben soll. 
Für die Flüge bei Dunkelheit werden spezielle Nachtsichtgeräte (Night Vision Goggles = NVG) eingesetzt, die das vorhandene Restlicht verstärken und im Prinzip das „Unsichtbare“ sichtbar machen. Pilot und HEMS TC von Christoph Weser tragen sie während des Fluges im Cockpit – befestigt an ihren Helmen. Bei dem Einsatzkonzept brauchen Piloten eine Qualifikation für das Fliegen bei Dunkelheit. Ebenso die HEMS TC, die zum HEMS TC NVIS fortgebildet werden. NIVIS steht dabei für „Night Vision Imaging Systems“, also Nachsichtgeräte. Zudem kommt eine neue Rolle zum Einsatz: die sogenannte „Flight Nurse”. Dabei handelt es sich um Intensivpfleger und -pflegerinnen aus dem Klinikum, die in bestimmten Fällen Patiententransporte begleiten, während der Notfallsanitäter als HEMS TC NVIS im Cockpit unterstützt. So geschehen auch beim Einsatz auf der Insel Juist.
Der erste Turnus der Randzeitenerweiterung ist für Christoph Weser mit Erreichen des Frühjahrs nun abgeschlossen. Absolviert wurden 33 Einsätze. Und die waren vielfältig.

Verbrennungstrauma in Soltau

Ortswechsel von der Küste in die Heide. Auch hier ein Einsatz bei Dunkelheit, Anfang November – Alarmierung um 18:45 Uhr. Die Crew von Christoph Weser soll zu einem Wohnungsbrand nach Soltau (Lüneburger Heide) fliegen. Ein zirka 50-jähriger Patient erleidet  Verbrennungen an Händen, Unterarmen, Beinen und im Gesicht. Zudem besteht der Verdacht auf eine Rauchgasvergiftung. Das dreiköpfige Team, mit Pilot Attila Dellit, Notfallsanitäter und HEMS TC NVIS Torsten Freitag und Notarzt Jonas Boelsen, macht sich auf den Weg. Attila Dellit und Torsten Freitag nutzen die Nachtsichtbrillen für den Flug. Gegen 19:30 Uhr landet das Team an der Einsatzstelle in Soltau.
Der Patient ist  durch den bodengebundenen Rettungsdienst vorversorgt worden , inklusive Schmerztherapie. So kann der er von der Hubschrauber-Crew schnell übernommen und in die Maschine gebracht werden. Flugziel ist das knapp 60 Kilometer entfernte Unfallklinikum Boberg in Hamburg. Auf der dortigen Intensivstation für Brandverletzte ist bereits ein Bett für den Patienten vorbereitet. Gegen 20:40 Uhr erreicht die Crew die Klinik und übergibt den Patienten an das dortige Team. „Gerade für weite Wege in Spezialzentren bringt der Hubschrauber einen enormen Zeitvorteil mit sich”, so Torsten Freitag. „Patienten können auf dem Luftweg schnellstmöglich zur Zielklinik transportiert und weiterversorgt werden. Das erhöht ihre Genesungschancen erheblich.“ Mit Christoph Weser steht in den winterlichen Abendstunden ein zusätzliches luftgebundenes Rettungsmittel in der Region Bremen und dem nördlichen Niedersachsen zur Verfügung, um Patienten schnell über weite Strecken hinweg zu transportieren.

Tierischer Notfall

Ob bei Tageslicht oder im Dunkel, eine Sache ist besonders wichtig: Teamarbeit. Nicht nur innerhalb der Hubschrauber-Crew. Sondern auch mit Partnern. Im Februar wird Christoph Weser gegen 18:00 Uhr in den Ort Bockhop im Landkreis Diepholz (Niedersachsen) alarmiert. Dort hat eine Reiterin die Kontrolle über ihr Pferd verloren. Es ist mit der Reiterin einige hundert Meter in Richtung Bundesstraße galoppiert und dann im Kreuzungsbereich mit einem PKW kollidiert. Dabei ist die Frau zu Boden und gestürzt und hat sich schwer verletzt.  Aufgrund des Verletzungsbildes soll die Crew von Christoph Weser die Patientin versorgen und per schonendem Lufttransport in die Klinik bringen.

Es werde Licht

„Landungen bei Nacht sind herausfordernd“, sagt Torsten Freitag. „Denn das Sichtfeld ist eingeschränkter als am Tage.“ Landungen sind prinzipiell ohne fremde Hilfe möglich – die Crews verfügen über Hochleistungsscheinwerfer und können durch die NVG passende Landeplätze identifizieren. „Die Unterstützung der Feuerwehren nehmen wir dennoch immer gern an“, so Torsten Freitag. Denn Feuerwehren können passende Landeplätze für die Crews ausleuchten. Das spart Zeit, denn so muss durch die oftmals ortsfremden Crews nicht erst die passende Fläche aus der Luft gesucht werden. Feuerwehren kennen die Gegebenheiten vor Ort und wissen, welche Flächen sich eignen und welche nicht. „Und es gibt noch einen weiteren Vorteil“, so Torsten Freitag. „Wenn Feuerwehren einen Landeplatz ausleuchten, können sie ihn vorher auf Risiken, wie lose Gegenstände prüfen. Auch können sie ihn insofern absichern, als keine Personen oder Fahrzeug sich dem landenden Hubschrauber nähern können.“ 

 

So wie beim Einsatz in Bockhop, wo eine nahegelegene Wiese als Landeplatz festgelegt wird. Die Freiwillige Feuerwehr Borstel leuchtet die Fläche mit einem Lichtmast aus. Zudem kommen die Scheinwerfer eines Traktors zum Einsatz. „Dank dieses Rundum-Services konnten wir hervorragend landen“, sagt Torsten Freitag. „Und dafür danken wir der Freiwilligen Feuerwehr Borstel.“ Die Crew versorgt die Patientin vor Ort und fliegt sie anschließend in das Klinikum.

Randzeit macht Unterschied

Egal ob auf Juist, in Soltau, beim Pferdeunfall in Bockhop oder den vielen anderen Einsätzen, die von Oktober 2024 bis März 2025 in Dunkelheit absolviert wurden: „Wir blicken zufrieden auf die ersten sechs Monate Randzeiterweiterung“, sagt Torsten Freitag. „Es hat sich gezeigt, dass wir auch nach Sonnenuntergang gebraucht werden. Und wir freuen uns sehr, dass wir bei vielen Einsätzen wichtige Minuten für unsere Patientinnen und Patienten gewinnen konnten und uns jederzeit auf die hervorragende Unterstützung durch unsere Partner verlassen können.“