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Wie kann das Digitale für mehr Menschlichkeit sorgen? 

Ein Interview mit Dr. med. Jörg Braun

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Dr. med. Jörg Braun trägt die personelle Verantwortung für die eingesetzten Notärzte und Notfallsanitäter sowie die Gesamtverantwortung für die medizintechnische Ausstattung der Hubschrauber und Stationen der DRF Luftrettung. Zu seinen Aufgaben gehören sowohl der operative Bereich als auch die Weiterentwicklung des Fachbereichs und die Mitwirkung bei strategischen Fragestellungen.

Künstliche Intelligenz ist seit Monaten in aller Munde, Digitalisierung seit Jahren ein Dauerthema. Welche Rolle spielen sie in der Welt der Luftrettung?

Dr. med. Jörg Braun: In Zukunft wird KI unsere Notärztinnen und Notärzte unter anderem dabei unterstützen, noch schneller die richtige Diagnose zu stellen. Potenziale, die elektronische Datenerfassung und Digitalisierung für unsere Patientinnen und Patienten eröffnen, schöpfen wir immer mehr aus.

Trägt das Engagement der Fördermitglieder des DRF e.V. sowie der Spenderinnen und Spender dazu bei?

Ja, natürlich! Gerade dank unserer Förderer, Spenderinnen und Spender können wir bei der DRF Luftrettung die Digitalisierung mit vorantreiben. Dabei helfen uns Ultraschall- und Blutgasanalysegeräte der neuesten Generation ebenso wie spezielle Tablet-PCs, unsere neuen NIDApads, sehr. Solche Investitionen werden erst möglich durch zusätzliche finanzielle Mittel. Durch Mitgliedsbeiträge und Spenden.  

Was genau leisten diese NIDApads?

Die NIDApads ermöglichen die elektronische mobile Datenerfassung und die Bündelung von Informationen. Sie sorgen zum einen für einen Zeitgewinn, zum anderen für eine exaktere Dokumentation. Darüber hinaus können die Daten ausgewertet und von unserer Seite ohne sogenannte Medienbrüche weitergegeben werden. 

Inwiefern kommt das den Patientinnen und Patienten zugute? Was bedeutet das konkret für Ihre Patientinnen und Patienten?

Als Notarzt kann ich mich noch intensiver um sie kümmern. Während ich bisher händisch Protokolle schreiben musste – auch über Herzfrequenz und Blutdruck –, werde ich jetzt automatisch vom NIDApad durch die wichtigen Daten geführt. Von den Einsatzdaten über Diagnosen und notfall- sowie intensivmedizinische Maßnahmen wird alles von Anfang an digital erfasst. Ganz neu und besonders wichtig ist, dass alle Vitaldaten der Patienten automatisiert aus unserem Überwachungsmonitor in das NIDApad übernommen werden können – ich habe also exakte Daten im Protokoll, die ich nur noch bestätigen muss. Zudem entfällt die zeitraubende Übertragung aus dem handschriftlichen Notarztprotokoll in ein EDV-System, die bisher nachträglich gemacht wurde. Und wir nutzen die Daten DRF-intern für umfangreiche Qualitätsanalysen, um unsere Leistung zum Wohl unserer Patientinnen und Patienten stetig zu verbessern.

Wird es in Zukunft weitere Anwendungsmöglichkeiten geben?

Schritt für Schritt sollen sämtliche Geräte, die wir einsetzen, direkt mit dem NIDApad kommunizieren können. Bei den Beatmungsgeräten, die wir verwenden, wird dies in Kürze der Fall sein. Gerade in der Medizin bringt es erhebliche Vorteile mit sich, wenn die Geräte unterschiedlicher Hersteller miteinander kommunizieren und die an unterschiedlichen Stellen erhobenen Daten in einen gemeinsamen Datenpool einfließen. Stellen Sie sich vor, dass wir irgendwann auch noch die Gesundheitsdaten aus Smartwatches einbinden können, die viele Menschen heute schon tragen, dann könnten wir zum Beispiel sehen, wann eine Herzrhythmusstörung begonnen hat. Und künftig können wir KI auch in der Unterstützung der Diagnostik oder Therapie einsetzen.

Die Entwicklungen sind für Patientinnen und Patienten der Luftrettung also sehr hilfreich?

Ja, Abläufe und medizinische Behandlungen können in jeder Hinsicht optimiert werden. Das fängt mit der Erstdiagnose an, es betrifft die Behandlung und eröffnet darüber hinaus vielfältige Chancen für das gesamte medizinische Notfallsystem, in das die Luftrettung eingebunden ist.


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Wodurch genau kann die Erstdiagnose verbessert werden? Für die Chancen der Patientinnen und Patienten ist ja enorm wichtig, dass sie so exakt wie möglich ist …

Dank unserer Unterstützerinnen und Unterstützer haben wir Geräte, die eine perfekte Grundlage für genauere Diagnosen am Einsatzort legen – von tragbaren Ultraschallgeräten bis hin zu Blutgasanalysegeräten. Mit dem Einsatz von KI werden sich gewonnene Befunde aus den Geräten künftig noch schneller und zielgenauer analysieren lassen. Das stellt eine sinnvolle Ergänzung und Erweiterung unserer diagnostischen Fähigkeiten am Einsatzort dar.

Ebenso kann KI künftig dabei unterstützen, mögliche Wechselwirkungen von Medikamenten schneller und besser zu erfassen. Wir haben ja häufig Patientinnen und Patienten, die akut Notfallmedikamente benötigen, die aber auch andere Medikamente eingenommen haben. Es ist wichtig, sehr schnell prüfen zu können, ob es gravierende Wechselwirkungen geben könnte.

Sie sagten, dass die Digitalisierung vielfältige Chancen für das gesamte System der Notfallrettung birgt. Wann können diese denn umgesetzt werden?

Bei der DRF Luftrettung wären wir technisch bereits heute in der Lage, die Daten auch in elektronischer Form an die Kliniken zu übermitteln und damit die Weiterarbeit in der Klinik zu vereinfachen, ohne Medienbrüche hinnehmen zu müssen. Derzeit scheitert dies vielfach an komplexen rechtlichen und technischen Hindernissen in den Kliniken selbst. Aber ich bin zuversichtlich, dass ein Weg gefunden wird, wie beispielsweise in Dänemark, das uns in dieser Hinsicht einige Schritte voraus ist.

Würde eine Vereinfachung Menschen in medizinischen Notsituationen helfen?

Ja, zum einen durch den Zeitfaktor: Im Notfall zählt jede Minute, die vergeht, bis eine lebensrettende Operation beginnen kann. Zum anderen sorgt mehr Effizienz natürlich auch dafür, dass weniger Zeit für Tätigkeiten gebraucht wird, die nicht unmittelbar mit dem Menschen zu tun haben. Das ist gerade vor dem Hintergrund einer dünnen Personaldecke in den Kliniken auch ein wichtiger Faktor. Digitalisierung und KI könnten das System insgesamt menschlicher machen.

Wartet die DRF Luftrettung ab, bis die Rahmenbedingungen so weit sind?

Nein, wir nutzen natürlich sämtliche Möglichkeiten, die uns jetzt schon zur Verfügung stehen. Neben dem NIDApad nutzen wir beispielsweise die rescuetrack-App in allen Hubschraubern. Mit der Alarmierung haben wir hier alle Einsatzdaten sofort verfügbar. Können wir nicht direkt am Einsatzort landen, unterstützt die rescuetrack-App bei der Navigation am Boden; über den integrierten Versorgungsnachweis sehe ich alle verfügbaren Behandlungskapazitäten von teilnehmenden Kliniken. Außerdem übermittelt die App Informationen zum Patientenzustand und zu unserem Status: So kann die Klinik sehen, wann genau wir losfliegen und in wie vielen Minuten wir eintreffen werden. Durch die nahtlose Informationsübertragung gewinnen wir wertvolle Zeit für den Patienten und schonen wertvolle Ressourcen auch mit Blick auf den Fachkräftemangel.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Dr. Braun!

Ich danke für das Interesse – und ich danke allen Unterstützerinnen und Unterstützern der Luftrettung. Sie tragen erheblich dazu bei, dass wir immer mehr für unsere Patientinnen und Patienten leisten können.


(Quelle: DRF Luftrettung)